Interview mit der Geschäftsleitung des Kaufmännischen Verbands Bern
Wechsel der operativen Führung steht im Kaufmännischen Verband Bern an. Nach 15 Jahren wird Ruedi Flückiger als Geschäftsleiter ordentlich pensioniert, die Nachfolge übernimmt Monika Keller; und nach fast so langer Zeit verlässt Sabrina Meier als Stellvertreterin den Verband ebenfalls, um eine neue Herausforderung anzunehmen. Zeit für einen Rückblick und eine herzliche Begrüssung.
Fotos (von links nach rechts) : Ruedi Flückiger, Sabrina Meier, Monika Keller
Ruedi Flückiger, Du bist im Jahr 2010 als Quereinsteiger in den Kaufmännischen Verband eingetreten. Was hat sich in den letzten 15 Jahren getan, was waren aus Deiner Sicht wichtige Meilensteine?
Als eine der ersten Handlungen nahm ich als frischgebackener Geschäftsleiter an der kantonalen Lehrstellenkonferenz teil. Man kann sich heute kaum mehr vorstellen, dass die bernische Wirtschaft (wie übrigens in der ganzen Schweiz) damals nicht genügend Lehrstellen zur Verfügung stellte!
Bereits ab 2011 fanden die ersten Überlegungen statt, die vielen regionalen und berufsbezogenen Meisterschaften in die gemeinsamen nationalen SwissSkills, die zentralen Berufsmeisterschaften zusammenzufassen. Die regelmässige Durch-führung und die Zelebrierung der Berufsbildung ist ein Glücksfall, und ich durfte ziemlich von Beginn weg dabei sein.
Andererseits verlor der Kaufmännische Verband durch einen Entscheid des Grossen Rates vom Januar 2010 zwei seiner getragenen Schulen in Langenthal und Burgdorf, und wir befürchteten einen Dominoeffekt, der dann glücklicherweise ausblieb. Heute arbeiten wir sehr offen, konstruktiv und auf Augenhöhe mit dem kantonalen Mittelschul- und Berufsbildungsamt MBA zusammen. Der neue Beruf «Entwickler:in Digitales Business» zeigt, dass unsere Schulen fit für die Zukunft sind.
Sabrina, Du bist 2012 vom kantonalen MBA zum Kaufmännischen Verband gewechselt – als «Insiderin» und Spezialistin in der Berufsbildung. Welche Schwerpunkte hast Du seither erlebt?
Parallel zur Fusion der damals sieben regionalen Sektionen des Kaufmännischen Verbandes im Kanton Bern gab es ebenso viele regionale Prüfungskommissionen für die Abwicklung des Qualifikationsverfahrens (QV). Gemeinsam mit dem MBA gelang es uns, diese in eine einzige Kommission und ein zentrales
Prüfungssekretariat unter unserer Leitung zu vereinen. Diese Zusammen-führung hat sich in den vergangenen Jahren als äusserst effizient und zukunfts-weisend erwiesen.
Kurz darauf zeichnete sich die umfassen-de Reform der Bildungsverordnungen im Detailhandel und im kaufmännischen Bereich ab, die ich bis zur Einführung in den Jahren 2022 und 2023 intensiv begleiten durfte. Als Kaufmännischer Verband haben wir unser Know-how genutzt, um eine gezielte Schulungs- und Seminar-Offensive zu starten. Nicht zuletzt aufgrund der Covid-Pandemie im Jahr 2020 haben wir unser komplettes Seminarangebot auf Online-Formate umgestellt. Heute bieten wir erfolgreich beide Formate – Präsenz und online – an und reagieren so flexibel auf die Bedürfnisse unserer Mitglieder.
Ruedi, der Kaufmännische Verband Bern ist mit einem Alter von 163 Jahren gleich alt wie der Staat Italien und damit einer der ältesten Berufsverbände der Schweiz. Hat er auch Zukunft?
Die klassische Mitgliedschaft in Verbänden und Vereinen ist – mit Ausnahme von einigen wenigen Trendthemen – stark unter Druck, was auch wir seit Jahren feststellen.
Daher haben wir bereits vor einigen Jahren angefangen, unsere Leistungen zu diversifizieren. An unseren Seminaren, die wir breit bewerben, nehmen über zwei Drittel Nichtmitglieder teil. Ich denke, wenn wir uns als konstruktiver Partner in der Berufsbildungswelt positionieren und unsere Angebote aktuell und attraktiv halten, wird uns dies gelingen. Oberstes Gebot ist für mich dabei eine exzellente Vernetzung des Verbandes und seiner Akteur:innen.
In den letzten Jahren hat auf nationaler Ebene innerhalb des Kaufmännischen Verbandes eine starke Dezentralisierung der Strukturen und Entscheidungen stattgefunden. In Bern richten wir auf die Zukunft aus, indem wir mit interessierten Partnersektionen zusammenarbeiten, uns gegenseitig verstärken und auf unsere Situation zugeschnittene Instrumente wie zum Beispiel die professionelle Seminar-Webseite oder eine eigene Kundendaten-bank einsetzen. Von nationalen Tools und Lösungen haben wir uns vor allem aus Kostengründen weitgehend verabschiedet.
Sabrina, welche «Tools» stehen für Dich in diesem Zusammenhang im Vordergrund?
In den vergangenen Jahren haben wir – und hier schliesse ich insbesondere die Mitarbeitenden ein – eine tiefgreifende Transformation durchlaufen. Ich bin überzeugt, dass wir Agilität und Selbstorganisation vorbildlich leben. Im Zuge von Kostenoptimierungen war es notwendig, zentrale Bereiche wie die Buchhaltung, IT und das Kundenmanagement vollständig neu zu strukturieren. Dabei standen die Digitalisierung und die Einführung effizienter Prozesse im Mittelpunkt. Besonders wichtig war uns jedoch, dass die Mitarbeitenden in diesen Wandel aktiv eingebunden wurden.
Was die Mitglieder- und Kundenleistungen betrifft, ist für mich die Implementierung eines KI-gestützten Beratungstools im Rechtsdienst des Kaufmännischen Verbandes Bern, das in Zusammenarbeit mit ETH-Absolventen entwickelt wurde, ein persönliches Highlight. Auch die Zertifizierung als «TOP-Ausbildungsbetrieb» ist ein wichtiger Meilenstein, der zeigt, dass wir trotz wirtschaftlicher Herausforderungen das Wohl unserer Nachwuchskräfte fest im Blick behalten. Diese Projekte sind Beweis dafür, dass wir mit Herz und Verstand auf die Zukunft ausgerichtet sind.
Die vom Kaufmännischen Verband getragenen und mitgetragenen Schulen spielen eine wichtige Rolle für die Weiterentwicklung des Verbandes. Ruedi, kannst Du dies in einigen Worten umschreiben?
Die vier Schulen, die WKS Wirtschafts- und Kaderschule Bern, die WST WirtschaftsSchule Thun, die BFB Bildung Formation Biel-Bienne, und die bsd. Berufsfachschule des Detailhandels sind unsere starken Antennen in die Bildungs-praxis. Sie führen und begleiten die Lernenden von zwei der grössten Berufe im Kanton Bern in der Grundbildung bis zum QV. Ich war und bin sehr dankbar, dass sie auch die Reform der beiden Bildungsverordnungen von Beginn weg sehr offen aufgenommen und unterstützt haben – im Wissen, dass Optimierungen notwendig sind. Und sie entwickeln sich in der marktorientierten Weiterbildung mit viel Elan und Professionalität laufend weiter. Seit Mitte 2024 sind wir erfreulicherweise auch Mitträger des bwd, Bildungszentrum für Wirtschaft und Dienstleistungen in Bern. Und auch der Ableger BWK Berufliche Weiterbildungs-kurse in Burgdorf hilft dem Image des Kaufmännischen Verbandes.
Monika, jetzt kommst Du ins Spiel. Ganz herzlich willkommen! Du hattest bereits einige Kontakte in den Verband, und Du übernimmst ab dem 1. Januar offiziell. Wer bist Du? … und was erwartest Du?
Wie Ruedi bin ich ebenfalls eine Quereinsteigerin in den Bereich der Bildung. Meine beruflichen Stationen haben mich von Führungs- und Projektleiterfunktionen in Grossunternehmen über die Geschäftsführung eines KMU bis hin zur stellvertreten-den Geschäftsführerin der Wirtschaftsförderung der Stadt Thun geführt.
Ich bin eidg. dipl. Verkaufsleiterin, Marketingfachfrau mit eidg. Fachausweis und habe ein MBA in strategischem Management und Leadership mit Vertiefung in Next Generation Business Management. Ich freue mich diesbezüglich, mein erworbenes Wissen in digitalen Kompetenzen, zukunftsgerichtetem Unternehmertum und dem Fokus auf die nachkommende Generation beim Kaufmännischen Verband Bern einbringen zu können.
Was mich tagtäglich im Berufsleben wie auch privat begleitet, ist die grosse Leidenschaft zur Bewegung, und dies nicht nur aufs Sportliche bezogen. Meine Passion ist es, meine Mitarbeitenden in den täglichen Herausforderungen zu begleiten und unterstützen, Projekte zu bewegen und erfolgreich umzusetzen sowie auch selbstständig in der Weiterbildung aktiv zu bleiben.
Privat bewege ich mich ebenfalls gerne. Sei es mit der Familie beim Wandern, Langlaufen, Klettern oder Radfahren. Ich engagiere mich zudem als Schwimmlehrerin beim Nachwuchs des örtlichen Schwimmvereins.
Auf die neue Funktion bin ich sehr gespannt und freue mich auf das Team sowie die zukünftigen Aufgaben. Getreu meiner Leidenschaft für die Bewegung, möchte ich die wartenden Herausforderungen sportlich angehen nach dem Motto «Sei dazu entschlossen und die Sache ist getan.» (Konfuzius)
Die letzte Frage an alle drei: Dem kaufmännischen Beruf wird immer wieder der Tod vorausgesagt. Wie steht Ihr zu dieser Aussage?
Monika: Der kaufmännische Beruf ist einer der ältesten Berufe der Welt. Es gibt ihn, seit Menschen gelernt haben, Handel zu treiben und für Waren zu bezahlen. Gerade dass der Beruf schon so lange existiert, beweist, dass er stetig weiterentwickelt wurde und heute ein fester Bestandteil unserer Wirtschaft ist. Um auch zukünftig bestehen zu können, muss er – wie auch zahlreiche andere Berufsbilder – flexibel, agil und digital geprägt und begleitet werden.
Sabrina: Trotz Digitalisierung bleibt der kaufmännische Beruf relevant. Die Rolle wandelt sich – von Routinearbeiten hin zu beratenden und strategischen Aufgaben. Wer sich kontinuierlich weiterbildet und anpassungsfähig bleibt, hat hervorragende Zukunftsperspektiven in diesem Beruf.
Ruedi: Bei diesem Thema schmunzle ich. Ich erinnere mich an die Schlagzeile des deutschen «Spiegel», der im April 1978 zur Entwicklung der IT schrieb «Fortschritt macht arbeitslos!» Da halte ich es lieber mit dem amerikanischen Publizisten Thomas Friedman: «Die Zukunft wird deshalb denjenigen Berufen gehören, in denen man weder mit den Händen noch mit dem Kopf, sondern mit dem Herzen arbeitet. Also Tätigkeiten, die Empathie, psycho-logisches Geschick, zwischenmenschliche Interaktion erfordern, zum Beispiel im Kundenkontakt, in der Pflege oder in der Pädagogik. Diese Berufsfelder werden in Zukunft immer wichtiger werden.» Eigentlich eine gute Nachricht.
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