Wir haben uns gefragt, welche Herausforderungen der neuen Arbeitswelt sich insbesondere in der Berufsfachschule stellen. Wir haben dazu vier Expertinnen und Experten befragt und teilen hier unsere Erkenntnisse mit Ihnen.
Erfolgreich in der Arbeitswelt 4.0 durch gezielte Fähigkeitsentwicklung
In der heutigen Zeit erleben wir einen kontinuierlichen Wandel in der Arbeitswelt, der von technologischen Fortschritten, gesellschaftlichen Veränderungen und neuen Arbeitsmodellen geprägt ist. Die zunehmende Digitalisierung hat die Art und Weise, wie wir arbeiten, grundlegend verändert und neue Möglichkeiten sowie Herausforderungen mit sich gebracht. Flexible Arbeitszeiten, Remote-Arbeit und die Integration künstlicher Intelligenz sind nur einige Beispiele für Trends, die die Arbeitswelt prägen.
Neben den technologischen Veränderungen spielen auch soziale und kulturelle Aspekte eine entscheidende Rolle. Die Bedeutung von Diversität und Inklusion am Arbeitsplatz nimmt zu, während gleichzeitig die Work-Life-Balance und das Wohlbefinden der Mitarbeitenden an Bedeutung gewinnen.
Die aktuelle Arbeitswelt ist geprägt von einem ständigen Streben nach Innovation und Anpassungsfähigkeit. Unternehmen stehen vor der Herausforderung, mit den sich schnell verändernden Anforderungen Schritt zu halten und gleichzeitig eine positive Arbeitsumgebung zu schaffen, die Mitarbeiter:innenengagement und Produktivität fördert.
In diesem dynamischen Umfeld ist es entscheidend, sich kontinuierlich weiterzubilden, neue Fähigkeiten zu entwickeln und sich an Veränderungen anzupassen. Nur so können wir die Chancen nutzen, die die moderne Arbeitswelt bietet, und erfolgreich in einer zunehmend vernetzten und globalisierten Gesellschaft agieren.
In diesem Kontext durften wir spannende Interviews führen. Im Fokus stand insbesondere die (Höherer-)Berufsbildung, wie sich die neue Arbeitswelt auf die Begleitung von Lernenden auswirkt, sowie deren schulische Ausbildung.
Fragen an Carmen Fasel, Berufs- und Praxisbildnerin WKS KV Bildung.
Welche Herausforderungen erleben Sie aktuell mit Lernenden im Berufsalltag?
Die Generation der aktuellen Lernenden wird durch die Medien in ein so negatives Licht gerückt, dass sie bereits beim Ausbildungsstart gegen die verschiedensten Vorurteile ankämpfen müssen. Die Umstellung vom Schulalltag ins Berufsleben ist zudem schwierig. Lösungsstrategien mussten sie bis anhin kaum entwickeln, denn dies wurde ihnen von Lehrpersonen und Eltern gerne abgenommen. Von einem Tag auf den anderen sollen sie nun Organisationstalente, grossartige Kommunikator:innen und begabte Informatikanwender:innen sein. Sicher ist es hilfreich, wenn wir den Lernenden im Berufsalltag ohne all diese Vorurteile und Erwartungen begegnen können. Alle kommen mit einem individuellen Rucksack an. Auch der familiäre Hintergrund und kulturelle Unterschiede müssen durch die Berufsbildner:innen beachtet werden.
Welche persönlichen Herausforderungen bringt das für Sie in der Rolle als Berufs- und Praxisbildnerin?
Es ist eine Herausforderung, die Bedürfnisse und Lernstile der einzelnen Lernenden zu erkennen und darauf individuell einzugehen. Es erfordert unsererseits viel Geduld, Empathie und Flexibilität, aber auch Zeit, um die Lernenden auf ihrem Lernweg zu unterstützen, damit sie sich weiterentwickeln können. Erst wenn eine gute Grundlage gelegt wurde, können die Lernenden effektiver lernen und erfolgreich sein. Daher ist es wichtig, dass wir uns im Alltag Zeit nehmen, um eine solide Basis zu schaffen. Als Berufsbildner:innen nehmen wir verschiedene Rollen ein. Einerseits sind wir Ausbildner:innen und Vorgesetzte, andererseits ist es uns wichtig, den Lernenden auf Augenhöhe zu begegnen und als Begleiter:in, Mentor:in und Coach und manchmal auch als Freund:in aufzutreten. Diese vielen Rollen unter einen Hut zu bringen, ist nicht immer einfach.
Im Lernprozess kann es auch schwierig sein, eine angemessene Balance zwischen Förderung und Herausforderung zu finden, um so die Lernenden optimal zu unterstützen und weiterzuWas würde Ihnen helfen, sich in Ihrer Rolle zu stärken?
Mir ist ein Erfahrungsaustausch mit anderen Berufs- und Praxisbildner:innen sehr wichtig, um voneinander zu lernen und neue Ideen auszutauschen. Die Möglichkeit Anlässe zu besuchen, um Gleichgesinnte zu treffen sowie gleichzeitig verschiedene Workshops zu besuchen und Input zu erhalten, gibt mir die Gelegenheit, auf dem neusten Stand zu bleiben und mich persönlich weiterzuentwickeln. Natürlich sind regelmässige Feedbackgespräche mit den Lernenden und die persönliche Reflexion über die Tätigkeit als Berufsbildner:in ebenso hilfreich, um sich in der Rolle zurechtzufinden und zu wachsen.
Fragen an Domenico Finocchiaro, Leiter Kaufleute WKS KV Bildung
Seit August 2023 ist “das KV” ein anderes. D.h. die Grundbildung wurde reformiert. Was sind die grössten Veränderungen innerhalb der Grundbildung?
Die grösste Veränderung ist die Abschaffung der Fächer. Neu ist der Unterricht nach Handlungskompetenzen aufgebaut. Das bedeutet für die Fachlehrpersonen, dass sie stärker zusammenarbeiten müssen. Denn ein Handlungskompetenzbereich wird jeweils von mehreren Lehrpersonen unterrichtet.
Die Handlungskompetenzbereiche orientieren sich an den Anforderungen der Ausbildung und lauten wie folgt:
HKB a: Handeln in agilen Arbeits- und Organisationsformen
HKB b: Interagieren in einem vernetzten Arbeitsumfeld
HKB c: Koordinieren von unternehmerischen Arbeitsprozessen
HKB d: Gestalten von Kunden- oder Lieferantenbeziehungen
HKB e: Einsetzen von Technologien der digitalen Arbeitswelt
Darüber hinaus können sich die Lernenden in den Wahlpflichtbereichen und in der Option auf ihre Stärken spezialisieren.
Was haben 2023 KV-Absolventen nicht, was 2026 KV-Absolventinnen haben werden?Die Absolventinnen und Absolventen von 2023 konnten sich einerseits weniger nach ihren Stärken spezialisieren, andererseits haben sie die Fächer noch isoliert gelernt, auch die Prüfungen waren fachspezifisch. Mit der neuen BIVO können die Lernenden Probleme ganzheitlich angehen und lösen.
Gibt es für Sie ein persönliches Highlight im Kontext der Reform-Einführung?Der klassische Unterricht verschiebt sich mehr in Richtung Lernbegleitung, da die Lernenden viel aktiver und selbstständiger an Aufträgen arbeiten. Das gibt mir als Lehrperson die Möglichkeit, die Lernenden individueller zu unterstützen.
Fragen an Stefan Zbinden, Leiter Weiterbildung WST Thun, & Thomas Kölliker, Leiter Weiterbildung WKS KVBildung
Die Veränderungen der Arbeitswelt ziehen automatisch auch veränderte Aus- und Weiterbildungsformen und -formate mit sich. Was sind die grössten Veränderungen in Ihrem Institut (WST/WKS), die Sie in den letzten Jahren erlebt/gemacht haben?
Während der Pandemie haben wir gezwungenermassen auf Fernunterricht umstellen müssen. Das Bedürfnis für solche Lernformate ist auch nach der Pandemie geblieben. Dies führt dazu, dass wir unsere Angebote angepasst haben. Grundsätzlich finden sie heute hybrid statt: Ein Teil der Teilnehmer:innen ist vor Ort, ein anderer Teil nimmt aus der Ferne am Unterricht teil. Andere Modelle verfolgen den blended-Ansatz:
Z.B. ca. 70% des Unterrichts erfolgt in Form von Fernunterricht für alle.
Z. B. ca. 20% des Unterrichts ist Präsenzunterricht vor Ort und dient der Vertiefung und Vernetzung
Z. B. ca. 10% des Unterrichts erfolgt in Form von Selbstlerneinheiten
Aber nicht nur die Lernformen haben sich weiterentwickelt, sondern auch die Inhalte. Dies aufgrund der veränderten Handlungskompetenzen, die in der heutigen Arbeitswelt und neu auch in der KV Lehre (siehe oben) gefordert sind. Neben den Fachinhalten benötigt es Veränderungen im Mindset, in den Methoden und Instrumenten, sowie Tools, die wir im Arbeitsalltag benötigen.
Was sind die Vorteile für Ihre Kundinnen und Kunden.
Die Individualisierung auf ihrem Lernweg wird erweitert. Wir können einerseits die Bedürfnisse von direktem Kontakt und Austausch abdecken und gleichzeitig können andere Teilnehmer:innen auf lange Anreisen oder Anpassung von Arbeitszeiten am Abend verzichten.
Das blended-Modell kombiniert das asynchrone Lernen mit den Selbstlerneinheiten (lernen wo und wann ich will) mit dem begleiteten synchronen Lernen (alle arbeiten zur gleichen Zeit am gleichen Thema unter der Begleitung der Referent:innen).
Dank des Fernunterrichts verzeichnen wir viel weniger Absenzen. Immer wenn jemand verhindert ist anzureisen, sei es aus beruflichen oder privaten Gründen, besteht die Möglichkeit, sich von irgendwo auf der Welt dazuzuschalten und teilzunehmen.
Wir versuchen mit den neuen Formaten die gemeinsame Bearbeitung der neuen geforderten Kompetenzen ins Zentrum zu stellen, da wir diese in der veränderten Arbeitswelt alle neu lernen müssen. Aus diesem Grund steht das Erfahrungslernen im Zentrum. Vom Zukunftsseminar bis zum CAS sollen alle unsere Angebote diese Aspekte aufnehmen.
Können Sie ein Feedbacks mit uns teilen, von einem Erfolg einer Kundin oder eines Kunden?
Die Teilnehmer:innen schätzen die Wahlmöglichkeit sehr. Diese reduziert bei vielen den Organisationsstress.
Die Erfolgsquoten an den externen Prüfungen sind vergleichbar mit denjenigen vor dem Fernunterrichtszeiten. Dies zeigt auf, dass der Unterricht funktioniert und sich die Teilnehmer:innen gut organisieren können. Natürlich benötigt es dafür eine gute Selbstorganisation und gute Lernbedingungen, die man sich einrichtet.
Durch die nützlichen Alltagsinhalte konnten die Teilnehmer:innen unmittelbar erfolgreiche Anwendungen im Alltag erzielen. Die Erweiterung ihres Netzwerks wurde durch die gemeinsame Bearbeitung der aktuellen Herausforderungen gestärkt. Der gemeinsame Lernweg mit unseren Teilnehmer:innen ist bereichernd, eben auf Augenhöhe mit der Berufswelt.
Herzlichen Dank für Ihre erkenntnisreichen Antworten!
Text: Karin Burkhard, Kaufmännischer Verband Bern
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